Kategorie VdK-Zeitung

Aufgewachsen in schweren Zeiten

Von: Annette Liebmann

Kinder und Jugendliche, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, haben oft schwere seelische Verletzungen erlitten. Die schrecklichen Bilder verfolgen sie ein Leben lang. Auch viele VdK-Mitglieder erinnern sich noch an die Zeit.

Ein Junge und eine Frau stehen zwischen Trümmern, verursacht durch Bombardierungen im Zweiten Weltkriegs.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sah es in vielen Städten so aus. © VdK Bayern

Auf unseren Aufruf „Kriegskinder bitte melden“ in der VdK-Zeitung haben sich über 100 Mitglieder gemeldet. Aus ganz Deutschland haben wir Einsendungen erhalten, von handgeschriebenen Briefen über E-Mails bis hin zu Büchern oder Auszügen daraus. Viele Schilderungen sind sehr bewegend und lassen erahnen, welch schweren Start die Kinder von damals ins Leben hatten. Einen herzlichen Dank an alle, die sich die Mühe gemacht haben, uns zu schreiben! Bitte schicken Sie uns nichts mehr. Leider konnten wir nicht alle Einsendungen berücksichtigen. Deshalb haben wir eine Auswahl getroffen, die exemplarisch für alle Betroffenen stehen soll.

Bomben in der Nacht

Siegrid Hacker ist 1940 geboren und lebte während des Kriegs mit ihrer Familie in Berlin. Sie schildert die Bombenangriffe: „Nachts riss meine Mutter meine Schwester und mich aus dem Schlaf. Ich weinte jämmerlich: ,Ich will doch schlafen!‘, und das Nacht für Nacht. Im Keller hörten wir das Geschwader näher kommen, das Dröhnen der Flugzeuge, und spürten die Bombendetonationen. Die Kellerwände erzitterten, Staub rieselte von der Decke.“ Nachdem ihr Haus getroffen worden war, zog die Mutter mit den beiden Kindern nach Thüringen. Doch auch da waren sie nicht sicher. Auf einem Feldweg warf eines Tages ein Tiefflieger eine Phosphorbombe ab. „Meine Mutter rannte mit uns Kindern an der Hand um unser aller Leben. Ich fiel hin und meine Mutter schleifte mich über die Erde mit.“

In diesen Tagen war der Tod überall. Doris Jung erlebte als Dreijährige in Weimar einen Bombenangriff, bei dem die Insassen des Luftschutzkellers verschüttet wurden. „Als die Tür nicht mehr aufging, klopften und brüllten Frauen und Kinder. Wir wären erstickt, wenn man uns nicht gerettet hätte.“

Viele Kinder haben im Krieg einen Elternteil, ihre Geschwister oder die gesamte Familie verloren. Wie Doris Foltinowits, die mit knapp vier Jahren die Bombardierung Dresdens miterlebt hat. „Meine Mutter und meine kleine Schwester wurden höchstwahrscheinlich getötet. Es gibt kein Grab und keine Namensinschrift. So bin ich ohne eigene Familie bei öfter wechselnden Fremden und im Internat aufgewachsen“, schildert sie.

Tiefe Wunden

In den letzten Kriegstagen verlor Herbert Sabiers, damals eineinhalb Jahre alt, seine beiden älteren Geschwister. „Was ich weiß, stammt aus der Erzählung meiner Mutter“, schreibt er. „Ich habe vor meiner Schwester gesessen. Als die Granate einschlug, ist sie nach vorne auf mich drauf gekippt und hat mir so das Leben gerettet.“ Der Vater war schon zuvor in Russland gefallen. Die Mutter trat kurze Zeit später dem VdK bei, um Unterstützung zu bekommen. 

Richard Mitschke ist im Herbst 1944 geboren, ein halbes Jahr, bevor sein Vater fiel. Mit elf Monaten brachte ihn seine Mutter in ein Kinderheim. Mitschke wuchs ab 1946 bei seinen Großeltern auf und kam mit der Einschulung wieder zu seiner Mutter. Später war er im Internat. 1964 brach die Mutter den Kontakt zu ihm ab. „Ich bin immer der einsame Wolf geblieben“, resümiert er.

Manche Kinder haben selbst Kriegsverletzungen erlitten. Ingrid Kleinstäber berichtet, wie sie als Siebenjährige nach Kriegsende – im Juli 1945 – durch eine Handgranate schwer verletzt wurde. Ihr Spielkamerad starb. „Die Russen, die die Granate geworfen hatten, machten sich sogleich aus dem Staub.“ Ingrid Kleinstäber konnte nicht mehr gehen und musste das Laufen mühsam neu erlernen. 

Auch Elisabeth Spitzer wurde nach Kriegsende von einer Handgranate verletzt. Sie war sechs Jahre alt, als sie am 16. Mai 1945 bei einem Waldspaziergang getroffen wurde. Beide Beine waren schwer verwundet, und es war anfangs nicht sicher, ob sie durchkommen würde.

Flucht und Vertreibung

Viele Kinder haben erlebt, wie es ist, wenn man seine Heimat und all sein Hab und Gut aufgeben muss. Anna Pries wurde als Zehnjährige mit ihrer Familie aus Tschechien vertrieben. „Anfang September 1946 bekamen wir den Bescheid, dass wir die Heimat verlassen müssen“, erinnert sie sich. „Wir hatten 48 Stunden Zeit, das Nötigste zu packen, und wurden anschließend in ein Lager gebracht.“ Von dort aus ging es in Viehwaggons nach Mecklenburg-Vorpommern und ein Jahr später nach Sachsen, wo sich die Familie niederließ.

Erika Volke war ebenfalls zehn, als sie zusammen mit der Mutter und vier Geschwistern aus Polen fliehen musste. Nach mehreren Stationen kamen sie in Marbeck im Münsterland an. „Uns wollte keiner haben“, schreibt sie. Die Familie wurde in einem Schweinestall untergebracht. Hunger war an der Tagesordnung: „Wenn wir von der Schule kamen, haben wir auf dem Feld Steckrüben geklaut. Ab und zu bekamen wir vom Bauern ein paar Kartoffeln.“

Hunger und Armut

Die Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre war groß. „Obst und Gemüse kannten wir nicht“, berichtet Ellen Braden. „Zu essen gab es Brot mit Kunsthonig. Alle waren unterernährt.“ Sie und ihr Bruder hatten keine Spielsachen. Um ein paar Eier zu ergattern, ging die Mutter auf Hamsterfahrt. Schlimmer als den Krieg hat sie die Nachkriegsjahre in Erinnerung: „Die Winter kalt und nichts zum Beißen.“

Siegfried Ewerlein, Jahrgang 1935, lebte mit seiner Mutter und den Geschwistern in Königsberg. Mehrere seiner Geschwister starben an Unterernährung, 1947 auch die Mutter. 

Ein Fremder kehrt heim

Durch den Krieg wurde so manche Familie auseinandergerissen und fand erst später wieder zusammen. Gertrude Lee, geboren 1940, war neun Jahre alt, als ihr Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. „Als er zur Tür hereinkam, haben sich meine Schwester und mein Bruder unter dem Küchentisch versteckt“, erinnert sie sich. „Für uns war er ein Fremder.“

Wer als Kind ein schweres Trauma erlitten hat, leidet oft ein Leben lang. „Aus den bedrohlichen Zeiten im Luftschutzkeller rührt meine Angst vor engen Fahrstühlen und Kellern“, bekennt Heide-Marie Emmermann. Und Margarete-Camilla Borchers betont: „Krieg ist etwas Furchtbares, das bei den meisten eine lebenslange tiefe Verunsicherung hinterlässt.“